Samstag, 9. Februar 2013
Karneval
Mona hatte mich vor ein paar Wochen überredet, sie doch zu Fasching, ach nein, das heißt ja Karneval, in Düsseldorf zu besuchen. Den Rosenmontagszug zu gucken, sei nicht so wichtig, aber am Altweiber-Donnerstag sollte ich auf jeden Fall dabei sein. Günstige Flüge für Donnerstag und Montag-Vormittag waren zu kriegen, also gönnte ich mir ungewöhnlicherweise mal eine paar Party-Urlaubstage.
Da wir ja üblicherweise nicht Fasching feiern, hatte ich natürlich keine Kostüme. Mona würde mir vielleicht etwas für den Straßenkarneval leihen können, was ich einfach über meine Klamotten ziehen konnte. In meinem Kleiderschrank fand ich aber noch eine bunt gemusterte Bell-Bottom-Jeans und ein Oberteil mit Fledermaus-Ärmeln, was zusammen mit einem bunten Stirnband ein einfaches Hippie-Outfit abgab, das würde sicher für den Donnerstag gehen.

Mona hatte gesagt, wir würden am Donnerstag teils drinnen und teils draußen sein, eine dicke warme Altstadt-Jacke, so wie sie sie nannte, würde sie mir leihen können. Eine Altstadt-Jacke ist eine eigentlich ausgemusterte alte Jacke, bei der es nicht schade ist, wenn sie abhandenkommt. Das kann nämlich passieren, da die Lokale meist keine Garderobe haben.

Auf die Party am Samstag würde ich mein Dirndl anziehen. Das hatte ich mir vor zwei Jahren für’s Oktoberfest in München gekauft, es aber bis dato nicht geschafft, dort hinzufahren.

Nachdem mein Flieger gelandet war und ich mein Gepäck hatte, nahm ich die S-Bahn Richtung City. Je näher die Bahn Richtung City kam, umso mehr verkleidete Leute stiegen ein, einige schienen auch schon angetrunken zu sein, eine ungewohnte Atmosphäre. Mona kam direkt aus dem Büro und holte mich am S-Bahnhof ab. Bei ihr daheim gab es dann Pfannkuchen, was die Düsseldorfer Berliner nennen und was wohl typisch für Fasching, äh Karneval ist. Dazu gab es – wie anscheinend auch bei den Düsseldorfer Mädels üblich – Mumm extra dry.

Wir würden alleine losziehen, die Freundinnen von Mona mussten entweder arbeiten oder waren in Köln unterwegs. In gemischter Runde, also mit Männern zieht man Altweiber nicht los, lernte ich. Und es sei absolut üblich zu küssen. „Wie Küssen, Knutschen?“ fragte ich. Mona erklärte mir, das kurze Schmatzer auch auf den Mund absolut üblich sein. Knutschen täte man nur in den seltensten Fällen und mehr als das üblicherweise gar nicht. Die meisten Männer wie auch Frauen, die unterwegs seien, wären gebunden, u. U. auch verheiratet. Flirten und Bützen, ein anderer Begriff für dieses Küssen, sei erlaubt oder zumindest toleriert, aber eben mehr nicht. Ich sollte einfach gar keinen Kerl ernst nehmen, Telefonnummern würde man auch nicht tauschen.

Ich war gespannt, was mich erwarten würde. Wie ausgelassen sind die Düsseldorfer wirklich?

Mona fand mein Hippie-Outfit ganz passend, mit ihrer alten Jacke drüber war es auch sicher warm genug. Ihre große pinkfarbene Pseudo-Sonnenbrille schlug ich aber als Ergänzung aus, die würde mir sicherlich beim Tanzen lästig werden. Sie selbst hatte sich noch nicht so wirklich entschieden, was sie anziehen würde. Sie zeigte mir ihren Kostümfundus, der ganz schön umfangreich war. Letztendlich entschied sie sich für ein Rokoko-Outfit mit relativ leichtem Oberteil aber langem recht warmen Rock. Die passende weiße Perücke kommentierte sie mit „dann brauche ich wenigstens keine Mütze, ist kalt draußen“.

Nach zwei Gläsern Sekt für jede und noch einmal präventiv-Pinkeln zogen wir los. Wir hatten Glück, die Straßenbahn kam gleich und es waren auch nur ein paar wenige Stationen bis in die Altstadt. Mona erklärte mir, dass wir etwas spät dran seien und in die angesagtesten Locations nicht mehr rein kommen würden. Und zwei Stunden Anstehen, würde sie sich sparen wollen. Sie schlug vor, zum Rathaus zu gehen.

Teilweise mussten wir uns unseren Weg durch die Massen von kostümierten Leuten schon fast erkämpfen und aufpassen, dass wir uns nicht verlieren. Mit so vielen Menschen hatte ich nicht gerechnet, besonders, da wir ja noch auf dem Weg waren. Allerdings gab es auch hier in der Fußgängerzone schon überall Musik. Auf dem Platz vor dem Rathaus dröhnten dann Karnevalslieder und andere Partysongs aus den Boxen. Ich war fasziniert von den ganzen Kostümen, ansonsten fehlte mir aber auch ein wenig Stimmung. Es war eher wie in einer Open Air Disko, abgesehen von hier und da Gegröhle und der etwas zu leisen Musik.

Monas Erwartung entsprach das auch nicht, zu wenig Stimmung, die Leute zu jung (ja, tendenziell eher Richtung Teenie-Alter). Sie sagte, wir sollen das UERIGE, eine Brauerei-Kneipe versuchen. Da kämen keine Kids rein, die Stimmung sei sicher besser und wärmer sei es auch. Mona hatte es nicht erwartet und war entsprechend happy, dass wir nicht anstehen mussten. Voll war es aber trotzdem. Wir wühlten uns durch die Leute Richtung Party-Raum. Mona blieb stehen, kam nicht weiter. Ein Kellner (die heißen wohl Köbes) rollte ein großes Bierfass vor sich her. Er wollte anscheinend in dieselbe Richtung wie wir und so bahnte er uns mit seinem Fass den Weg.

Warm war es wirklich. Spätestens jetzt wurde mir klar, warum es wichtig war, eine Altstadt-Jacke zu haben. An den Wänden gab es zwar Haken für Jacken, aber die quollen eh schon über. In einer Ecke gar es eine Bank mit einem Tisch davor, auch hier stapelten sich schon Jacken und Mäntel. Mona warf unsere einfach dazu. Sie meinte, wir sollen mal gucken, wo vielleicht ein paar nette Männer seien und uns dazu gesellen. Sie schaute sich um und hatte an einem Stehtisch drei Männer um die Fünfzig entdeckt, die ganz sympathisch und noch nicht zu betrunken wirkten. Wir drängelten uns durch die Menge und blieben genau neben den Männern stehen. Es dauerte keine Minute, da hatte Mona schon den Arm von dem einen auf ihrer Schulter und sie grölten gemeinsam das gerade laufende Karnevalslied mit.

Ich hatte ein wenig Schwierigkeiten mit dem Text, war das alter Düsseldorfer oder Kölner Dialekt? Ich ließ meinen Blick schweifen und blieb in den Augen eines viel zu großen Piraten hängen. Er lächelte mich an, kam dann zu mir rüber, nahm mich an der Hand und begann mit mir so ne Art Disco-Fox zu tanzen. Dabei sah er mir in die Augen und sang dabei den Text von dem alten schnulzigen Schlager mit, der gerade lief. Aha, so geht das also.

Der Pirat war viel zu groß für mich, sicher über 1,90 und er war bestimmt auch noch keine Vierzig, aber er war echt süß und smart. Aber auch wenn er so groß war, ging das Tanzen mit ihm prima, er konnte auch richtig gut führen. Wir sangen die Texte mit, schauten uns in die Augen und schmachteten uns zu den teils schnulzigen Texten leicht übertrieben an. Irgendwann beugte er sich zu mir runter und drückte mir diesen „erlaubten“ Kuss auf die Lippen, danach sagte er mit einem tiefen Blick in meine Augen „warum muss ich auch gerade so eine Süße hier treffen?!“ Wir schwoften noch ein paar Lieder zusammen, dann verabschiedete er sich, er müsse mal wieder nach seinen Leuten schauen, die seien noch draußen „bis später…“.

Jetzt konnte ich mich wieder zu Mona und ihren Jungs gesellen, sie schien echt Spaß mit denen zu haben. Der Kellner/Köbes kam auch gerade mit einem Riesen-Tablett voller Altbiergläser vorbei und ich bekam von den Jungs auch gleich ein Glas mit in die Hand gedrückt. Anstoßen und Trinken, na besonders lecker war das nicht. Zum Glück sind das nur 0,2l-Gläser und richtig voll sind die auch nicht, viel Schaum. Und es fällt auch keinem groß auf, wenn man das halbvolle Glas dann auf dem Stehtisch, auf dem eh schon viele nicht ganz leere Gläser stehen, stehen lässt.

Wir hatten echt nette zwei Stunden mit den Dreien, haben viel rumgealbert, getanzt, getobt, mitgesungen. Dem Matrosen schien ich es ein wenig angetan zu haben. Ihm war sogar aufgefallen, dass ich die Biere stehen ließ und fragte, ob ich lieber ein Wasser wolle. Er wollte wissen, wie ich heiße, woher ich komme etc. Dann fragte er, wie lang ich in Düsseldorf bleiben würde und ob man sich man sich ja Sonntag oder so noch mal treffen könne. Also tauschten wir Handy-Nummern, als die Jungs gehen wollten. Sie hätten uns gerne mitgenommen, aber Mona meinte, es wäre keine gute Idee mit nach … (hab ich vergessen, irgendwo auf der anderen Rheinseite weiter draußen) zu gehen, das Taxi zurück wäre immens teuer.

Zum Abschied bekam ich noch den üblichen Kuss. Es war kein hingehuschter Schmatzer, der hatte was von Zärtlichkeit. Und das, obwohl der Matrose einen schmalen goldenen Ring am Finger trug.

Kaum waren die Jungs weg, hatte Mona schon neue Unterhaltung. Und mein Karibischer Pirat tauchte auch wieder auf, kam wie selbstverständlich mit einem Lächeln auf mich zu, nahm mich in den Arm und meine Hand und tanzte mit mir. Er hatte zufällig genau wieder die Phase mit den schnulzigen Liebesliedern erwischt und schmachtete mich an. Er beugte sich oft runter zu mir, ging sogar mal in die Knie, das war echt süß. Geredet haben wir nicht viel, uns ständig angesungen. Dann gab es wieder einen Kuss, und noch einen, und … Ich habe die kleinen Küsse nicht gezählt, aber irgendwann ging er dann doch auf Knutschen über. Das war auch das, wonach mir gerade war, nicht mehr und nicht weniger.

Nach einer Weile meldete sich Mona wieder, sie war – nun nach fast fünf Stunden – doch etwas k.o. und würde gerne bald heim fahren. Mir ging es ähnlich, von der ganzen Tanzerei und Toberei war ich auch etwas erschöpft und am nächsten Tag würde ich sicher heiser sein. Einen Tanz noch mit dem Piraten, dann verabschiedete ich mich mit einem langen Kuss … ich wusste noch nicht einmal seinen Namen. Er war einfach nur der Pirat von der Black Pearl.