Wann werden wir erwachsen?
Letztes Jahr hatte ich in Meran in einer kleinen Boutique eine süßes Cocktail- (oder vielleicht besser 5-Uhr-Tee-)Kleid probiert: enganliegendes Oberteil mit rundem Ausschnitt und weit schwingendem Rock, weiße Punkte auf schwarzblauem Grund.
Als ich vor der Kabine stand, um mich im Spiegel anzuschauen, stand neben mir ein vielleicht 12jähriges Mädchen, die das gleiche Kleid probierte. Zu meinen 165 cm und der zierlichen Figur sah das Kleid harmonisch aus. Sie hatte noch Babyspeck und brauchte das Kleid sicher eine Größe größer als ich. Sie war aber nur etwa 140 cm groß. Leider ist ihr nicht aufgefallen, dass das Kleid viel zu lang und extrem erwachsen an ihr wirkte. Ihre Mutter kaufte das Kleid für sie. Ich entschied mich dagegen, da ich das Kleid viel zu gediegen für mich fand. Ich gehe eben nicht zum 5-Uhr-Tee in irgendwelche Nobel-Hotel-Lounges.
Im Job pflege ich schlichten Business-Style, lieber mit Rock oder Kleid als mit Hose. In der Freizeit kleide ich mich ähnlich wie meine 13-jährige Nichte, trage allerdings lieber Sneaker oder Flip-Flops als High Heels. Wie meine Sprachlehrerin in Südafrika im letzten Jahr schon sagte „da kommt ein College-Girl“. Geschminkt bin ich kaum, gerade mal Mascara, Puder und Rouge. Meine Nichte klebt sich häufiger falsche Wimpern an und liebt rote Lippen, auch verbringt sie viel mehr Zeit mit Hairstyling als ich.
Was Kleidung angeht, sind die Generationen heute nicht mehr eindeutig auszumachen. School-Girls kleiden sich sexy und ladylike und wir Forty-Somethings mögen es jung und verspielt.
Unsere Freundschaften suchen wir uns auch nicht mehr nach derselben Altersgruppe aus, sondern nach Hobbys, Interessen und Zielen. Nicht danach, was uns trennt, sondern was uns verbindet. Die Generationen vermischen sich, besonders wenn wir keine Kinder haben. Meine jüngsten Freundinnen und Freunde sind Ende Zwanzig, die ältesten in meinem Alter. Ältere lerne ich eigentlich nie kennen. Das hängt mit meinen sportlichen und kulturellen Interessen zusammen, da treffe ich eben keine Älteren.
Vielleicht ist es ein Zeichen fürs Erwachsensein, dass wir die Wahl haben. Wir müssen uns nicht mehr irgendwelchen Trends oder Klischees anpassen, wir können leben wie wir mögen und tun was wir wollen. Wir sind finanziell unabhängig, wir haben Erfahrung mit kürzeren und längeren Beziehungen, wissen was Freundschaft bedeutet und können Verantwortung übernehmen, wenn wir wollen.
Unsere Eltern sind anders aufgewachsen. Gerade in den 50er/60er Jahren wollten sie schnellstens Unabhängigkeit von Eltern, gerade auch Frauen suchten schnell nach der stabilen Beziehung. Sie wollten Beständigkeit und Werte schaffen. Eine Familie zu gründen war das Ziel, dafür mussten sie sofort Verantwortung übernehmen. Den Beruf, den sie damals ergriffen hatten, übten sie meist ihr ganzes Arbeitsleben aus, möglichst noch in derselben Firma. Frauen waren für die Familie da, Männer die Ernährer. Sie fühlten sich erwachsen und gut damit. Sie verzichteten meist auf Reisen, um erst einmal ihr Haus zu kaufen und ihr Zuhause auszustatten. Ein gutes deutsches Auto war Statussymbol.
Ich empfinde so ein Leben als zu eng und eingeschränkt. Ich will (immer noch) etwas erleben, reisen und spannenden Hobbys nachgehen. Ich habe nur eine kleine Wohnung, die mit mehr Ikea und weniger Designerstücken eingerichtet ist. Ich gebe mein Geld lieber für andere Sachen aus, besonders für Reisen und ein paar nicht so günstige Hobbys.
Unsere Eltern haben Werte anders definiert als wir. Da galt „mein Haus, mein Auto…“ und sicher auch der gute stabile Job. Gerade stabile Jobs gibt es heute kaum noch. Das hat macht vielen sicher Angst, aber es bietet auch die Möglichkeit flexibel zu sein.
Ich bin ein Quereinsteiger, habe kein Studium, es aber trotzdem bis zur Prokuristin gebracht. Jetzt bin ich aber schon wieder so weit, dass es mir zu eng wird. Da die Firma umstrukturiert, kann ich nun flexibler meine Zeit einteilen, auch mehr Urlaub nehmen oder mich um neue Projekte kümmern. Diese Möglichkeit finde ich richtig gut. Diese Freiheit kann ich aber sicher auch nur so gut genießen, weil ich keine Kinder habe.
Für unsere Generation ist es nicht mehr wichtig, was unsere Eltern sind und wie weit sie es gebracht haben. Wir sind unabhängig davon. Aber für unsere Eltern sind wir doch manchmal noch die Kinder, um die sie sich Sorgen machen. Bei jedem angestrebten Job-Wechsel oder neuem selbständigen Projekt versuchten sie mir die Sache auszureden und bei dem Altbewährten zu bleiben. Das ist das typische Sicherheitsdenken unserer Eltern. Aber heutzutage ist kein Job mehr sicher. Flexibel zu sein, gibt mir mehr Sicherheit… und Freiheit!